Sahara

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Zu Fuß durch die Wüste, bepackt mit sechs Dromedaren, drei begleitenden Beduinen, die in der Sahara geboren und aufgewachsen sind, Proviant und Wasser für zwölf Tage und meinem Vater, meinem großen Bruder und meiner kleinen Schwester. Achja … ein Satellitentelefon hatten wir für den Notfall auch dabei. Klingt alles erst einmal sehr abenteuerlich. Wenn ich euch jetzt noch erzähle, dass wir an der libyschen Grenze entlangwanderten, zu einer Zeit, in der das Auswärtige Amt nicht nur vor Reisen nach Libyen an sich warnte, doch auch insbesondere vor der Grenzregion, klingt alles noch gleich viel dramatischer. Ehrlicherweise muss ich aber vorweggreifen: Wir hatten keinerlei Nahtoderfahrungen – außer vielleicht ich, in dem Moment, in dem mir mitten in der Wüste eine Dorne aus dem Fuß „operiert“ werden musste, die sich weit hineingebohrt hatte. Mit einem Messer, das etwa gut genug zum Kartoffeln schälen war. Seit diesem Zeitpunkt weiß ich, wie sich Schmerz wirklich anfühlt.

Wie unsere genaue Route aussah, kann ich euch gar nicht genau sagen, also erzähle ich einfach von meinen Eindrücken, die in diesem Fall auch sehr viel ausdrucksstärker sind als der Weg an sich.
Die Sahara hat eine fast grenzenlose Vielfalt an Landschaftstypen. Und das allein in dem verhältnismäßig kleinen Teil, den ich sehen durfte (etwa acht Jahre später durfte ich dann auch den westlichen Teil der Sahara erkunden). Wir waren über Halloween dort: Die Tage waren heiß und die Nächte noch aushaltbar kühl. Pullover, lange Jogginghose und Schlafsack waren allerdings unverzichtbar, da wir im Sand unter dem Sternenhimmel schliefen und kein wärmendes Zelt uns umgab. Traumhaft! Einen Sternenhimmel wie diesen sieht man in seinem Leben kein zweites Mal – naja, außer man ist nochmal in Afrika. Obendrein hatten wir großes Glück, da gerade ein Meteoritenschauer über uns fegte, der uns etwa 40 Sternschnuppen pro Nacht bescherte.

Von kilometerweiten orangeroten Sanddünen, über Steinboden, der so scharfkantig war, dass selbst die Beduinen auf die Dromedare sprangen, bis hin zu kleinen Oasen, durften wir vieles bestaunen. Wie vielfältig Sand sein kann, wird einem erst klar, wenn man zwei Wochen in ihm verbringen darf.

Die Reisezeit haben wir uns bewusst so ausgesucht, da die meisten gefährlichen Tiere, wie z.B. Skorpione, zu diesem Zeitpunkt bereits im Winterschlaf sind. Trotzdem muss man achtsam sein, da sich noch einige Schlangen im Sand verstecken. Diese sind zwar im ersten Moment nicht tödlich, doch dauert der Weg aus der Wüste ohne Auto so lange, dass sie tödlich wären, weil man nicht in der vorgegebenen Zeit an Gegengift kommt. Watch your steps and trust your beduine! Um uns diese lieblichen Kreaturen genauer zu zeigen (und um sie danach, außerhalb unserer Reichweite, in die Freiheit zu entlassen), konnten sie es sich auch nicht nehmen lassen, sie – temporär – für uns mit ihren Holzstöcken im Zaum zu halten … Hilfe!

Ernährt haben wir uns von dem, was wir mit uns trugen. Beziehungsweise die Dromedare für uns trugen. Auch Wasser, ja! Jeden Morgen wachten wir mit den ersten Sonnenstrahlen auf, frühstückten Brot, das wir vorher unter der Glut im Sand gebacken haben, in der wir währenddessen das Wasser für den Tee und Kaffee kochten. Vormittags gab es nach den ersten Kilometern zur Stärkung und um den Kreislauf in Schwung zu halten Kekse und eine kleine Tasse Cola. Mittags und abends kochten wir jeweils gemeinsam verschiedene Gerichte mit Couscous und trinken mussten wir etwa 4 Liter Wasser am Tag, um nicht zu dehydrieren. Das alles schleppten diese sagenhaft leistungsstarken Tiere Tag für Tag für uns herum.

Deshalb war auch strikt geregelt, dass, bevor wir unser Lager aufbauen, Feuer machen, kochen und essen, wir die Dromedare absatteln, ihnen die Vorderläufe zusammenbinden (damit sie nachts nicht abhauen, sich aber dennoch frei bewegen können) und ihnen ihr Essen zubereiten. Erst, wenn sie versorgt waren, kümmerten wir uns um uns.

Wie wir uns die Zeit so ganz ohne Smartphone vertrieben ohne, dass uns langweilig wurde? Wir lernten arabische Wörter, lehrten Deutsche, spielten „Wüstenspiele„, mit allem, was die trockene Erde so hergab, genossen diese wunderschöne Stille und vor allem uns. PATATA SLATA!

Unsere letzte Nacht verbrachten wir in einer Oase, umrundet von einem kleinen Wüstendorf. Da wir zwei Wochen lang nicht duschen konnten und das Trinkwasser lediglich zum Zähneputzen und trinken gedacht war, freuten wir uns umso mehr auf ein Bad in der Oase … alle, außer ich. Da das Dorf sehr muslimisch ist, wäre es respektlos gewesen, dort als Frau in Badekleidung in die Oase zu hüpfen. Naja. Den einen Tag konnte ich auch noch aushalten mit der Aussicht auf die Dusche im Hotel. Die Wüstenluft ist erfüllt von einer sehr trockenen Hitze, sodass man nahezu nicht schwitzt und das, obwohl es über 40° Grad heiß ist. Sogar ich, als großer Fan von Körperhygiene, kann sagen, dass es wirklich aushaltbar ist, diese Zeit ungeduscht zu überstehen. Für die Katzendusche zwischendurch gibt es im Drogeriemarkt biologisch abbaubare Hygienetücher, die man trotzdem bitte mit aus der Wüste nimmt und sie außerhalb artgerecht entsorgt.

Auf dem Weg ins Hotel mussten wir unbedingt noch einen Abstecher bei Anakin machen …

… und dem UNESCO Weltkulturerbe, in dem wir mit Einwohnern in ihren Sandsteinhäusern Tee tranken.

Zwei Wochen ohne Handy, ohne Facebook, Instagram und sonstige Ablenkung haben eine sehr heilende Wirkung. Für mich gibt es kein schöneres Gefühl, als jegliches Zeitgefühl zu verlieren. Allerdings hat Erreichbarkeit auch seine Daseinsberechtigung. Als wir nach all den Tagen die Zivilisation erreichten und zum ersten Mal wieder unsere Handys einschalteten, wartete die schrecklichste und nachhaltigste Nachricht meines bisherigen Lebens auf mich: Mein Werner, der immer schon mehr für mich war, als „der neue Mann an der Seite meiner Mutter“ oder ein einfacher Freund, war an unheilbarem Lungenkrebs erkrankt. Im April 2016 befreite sich sein Körper von den Schmerzen und seitdem vergeht kein Tag, an dem ich ihn nicht schmerzhaft vermisse. Doch was hätte es gebracht, wenn mich diese Nachricht schon früher erreicht hätte? So hatte diese Reise die Chance, mich auch noch auf eine andere Art zu prägen. Vierzehn Tage fernab der Zivilisation und das greifbare Bewusstsein, dass man nicht unsterblich ist, lehrten mich weitaus mehr als Demut und Glücklichkeit, sie lehrten mich vor allem Mut, die Welt noch intensiver erleben zu wollen.

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